Academia Brasil-Europa© de Ciência da Cultura e da Ciência Akademie Brasil-Europa© für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft
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KULTURWISSENSCHAFT
Zum Konzept der Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft (1992; erw. 1997 für die Eröffnung des Sekretariats der A.B.E. in Köln)
Antonio Alexandre Bispo
Kulturwissenschaftliche Studien zeichnen sich in der Gegenwart durch eine Vielzahl von theoretischen Annäherungen, methodischen Ansätzen und Problemfokussierungen aus. Konsistenz und Kohärenz einer Kulturwissenschaft als Disziplin bedürften einer klärenden Verdeutlichung ihres Forschungsgegenstandes und dies setzte theoretische Auseinandersetzungen mit dem Kultur-Begriff und dem Kultur-Verständnis voraus. Terminologische Reflexionen spielen notwendigerweise stets eine relevante Rolle in kulturwissenschaftlichen Arbeiten, da sie die Vorbedingungen für die Bestimmung des Forschungsobjekts und die wissenschaftliche Vorgehensweise bieten.
Eine eindeutige, allseits akzeptierte Begriffsbestimmung und Auffassung von Kultur und eine daraus abzuleitende weiterführende Differenzierung stehen allerdings noch aus. So bevorzugen einige Gelehrte noch weiterhin, von Kulturwissenschaften in der Mehrzahl zu sprechen, welche die Disziplinen und Forschungsbereiche umfassen würden, die sich entsprechend den unterschiedlichen Fachtraditionen und wissenschaftlichen Ansätzen mit kulturellen Phänomenen und Prozessen unter vielfältigen Aspekten befassen. Dazu würden die Volks- und Völkerkunde bzw. die Ethnologie und Kulturanthropologie, die Kunstgeschichte und -ethnologie, die Musikwissenschaft, die vergleichende Religionswissenschaft und viele andere Forschungsrichtungen mehr zählen, vor allem auch solche rezenterer Entstehung wie die Medienwissenschaft und die Kommunikationsforschung.
Dieses Verständnis von Kulturwissenschaften könnte letztlich aber dazu führen, daß sich lediglich eine neue Bezeichnung für die im deutschen Sprachraum als Geisteswissenschaften, in den romanischen Ländern meist als Humanwissenschaften aufgefaßten Fächer etabliert. Eine Subsumierung bisher kulturwissenschaftlich orientierter Fächer unter diesen Fächerverbund könnte Differenzen, die aus den unterschiedlichen Denkströmungen und speziellen Entwicklungen entstanden sind, neutralisieren und so zu einer Einebnung und dementsprechend zu einer Verarmung der Perspektiven beitragen.
Gerade die Einsicht, daß die Entstehung, Ausbreitung, Abzweigung und nach Zeit und Raum unterschiedliche Ausprägung von Fachrichtungen und Forschungsbereichen, die sich kulturellen Phänomenen widmen, selbst Kulturerscheinungen sind und nur aus den jeweiligen soziokulturellen Kontexten und Situationen verstanden werden können, scheint Wege zu einer Präzisierung einer Kulturwissenschaft zu öffnen, die das eigene Forschungsobjekt umfassend zu reflektieren in der Lage ist.
Zu den Aufgaben der Kulturwissenschaft müßten demnach nicht nur neue oder bisher im Fächerkanon unterrepräsentierte Studienfelder zählen, die kulturelle Phänomene und Prozesse wie die der Populärkultur nach den Ansätzen der britischen Cultural Studies oder die Gender-Problematik einbeziehen, sondern auch die Analyse der historisch gewachsenen, partikulären Betrachtungs- und Vorgehensweisen der veschiedenen kulturwissenschaftlich orientierten Disziplinen.
Die Anerkennung der tradierten Forschungslandschaft als kulturelle Konstruktion führt dazu, daß die Kulturwissenschaft trotz aller ihr inhärenten Inter- und Transdisziplinarität nicht die Auflösung der einzelnen Disziplinen fördert, sondern deren Werdegang, Ausdifferenzierung und somit jeweilige Charakterisierungen in der Weise respektiert, daß sie sich mit ihnen auseinandersetzt. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe, die mehr als eine Wissenschaftsgeschichte ist, muß sie selbst Grenzen überschreiten, um die Netze der weltumfassenden Beziehungskomplexe der kulturwissenschaftlich orientierten Fächer zu untersuchen sowie ihre Entstehungsgeschichte, Konditionierungen, Abhängigkeitsverhältnisse, Sonderwege und aktuelle Dynamik zu eruieren. Dabei kann sie nicht umher, sich mit den sozialen Bedingungen des wissenschaftlichen Arbeitens selbst in den jeweiligen Kulturzusammenhängen auseinanderzusetzen, die zur Klärung der Art und Weise der Wissensrezeption und -produktion beitragen Die Kulturwissenschaft geht somit mit einer Soziologie der Wissenschaft bzw. in umfassenderem Sinn mit der Wissenschaftsforschung oder Wissenschaftswissenschaft einher. Sie ist darüberhinaus notwendigerweise inter- und transkulturell orientiert.
Mit dieser interkulturellen Orientierung vermeidet die Kulturwissenschaft die Gefahr einer eurozentrischen Einseitigkeit und achtet die Denkströmungen und die jeweiligen theoretischen Ansätze, Perspektiven und wissenschaftlichen Vorgehensweisen der unterschiedlichen Forschungskulturen. Sie wird selbst durch die verschiedenen Kontextualisierungen bereichert und ist auch hinsichtlich des Spektrums ihrer Reflexionen nicht nur der kulturellen Vielfalt, sondern auch einer weit aufgefaßten Kultur der Differenz bzw. einer Sensibilität für Ausdifferenzierungen verpflichtet.
In dieser Vision scheint eine wissenschaftliche Auseinandersetzung von Kulturwissenschaft und Volkskunde, wie sie sich in vielen Zentren der Welt entwickelt hat, in besonderer Weise erforderlich und ertragreich zu sein. Die Volkskunde vertrat über viele Jahrzehnte in mehreren Ländern die Kulturforschung schlechthin. Sie stand nicht nur in einem umfassenden Geflecht wissenschaftlicher Beziehungen, das Forscher aus verschiedenen Ländern miteinander verband, diskutierte Auffassungen von Kultur, suchte ihre Aufgabenstellung zu präzisieren und reflektierte über Vorgehensweisen der Kulturforschung in Tagungen, sondern ließ um herausragende Forscherpersönlichkeiten auch vielerorts Sonderentwicklungen entstehen, die die Arbeit von Institutionen und einzelner Wissenschaftler prägten. Keinesfalls scheint es gerechtfertig zu sein, aus der Überzeugung, eine neue Phase der kulturwissenschaftlichen Reflexion sei angebrochen, anzunehmen, die aus diesem vielschichtigen, langen geschichtlichen Prozeß des volkskundlichen Denkens und Arbeitens erwachsenen Strömungen seien durch einen Paradigmenwechsel der Forschung unerheblich geworden. Eine eingehendere Berücksichtigung der Auffassungen und der Leistungen bestimmter Zirkel und Netzwerke von Forschern außereuropäischer Länder wird zu überraschenden Aufdeckungen von Ansätzen führen, die in vielen Fällen rezenten, als neuartig und erneuernd erachteten Entwicklungen in Nordamerika und in Europa vorauseilten.
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